Die Marienkirche in Büdingen
Büdingens eigentliche, dem fränkischen Reichsheiligen St. Remigius geweihte Pfarrkirche lag weit vor der mittelalterlichen Stadt
1367 wird innerhalb der Mauern eine Holzkirche erwähnt, die der Stadtherr Heinrich von Ysenburg wieder herstellen ließ. Sie dürfte auf einen Gründungsversuch des Ordens der Wilhelmiten zurückgehen.
1377 wurde der Fachwerkbau durch eine steinerne Pfeilbasilika mit Nordturm ersetzt. Die dichte Bebauung der Altstadt war Ursache für die ungewöhnliche Nord-Süde-Ausrichtung des Gebäudes. Erhalten sind davon das jetzige Untergeschoss des Turms, das (darin vermauerte) Eingangsportal mit Wappen und Namen der Erbauer, Johann von Ysenburg und Gattin Sophie von Wertheim. Die Familie hat die der Gottesmutter Maria geweihte Kapelle deutlich gefördert, denn sie besaß hier das Patronatsrecht. Der unsichere Kirchgang vor die schützenden Mauern zur Remigiuskirche blieb den Einwohnern jetzt erspart.
1422 wurden die Ysenburger zur Reichsgrafen erhoben. Die Stadt wuchs, auch in ihrer Bedeutung und nahm Züge einer Residenz an.
1476 wurde die Marienkirche unter Graf Ludwig II. von Grund auf umgebaut und erhielt damit ihre heutige Gestalt. Eine Bauhütte unter Meister Hans Kuhn begann mit dem lichtdurchfluteten Chor, der nunmehr nach Osten gerichtet war. Das reiche Netzgewölbe geht auf den Büdinger Steinmetz Siegfried Ribsche zurück. Beim anschließenden Umbau des Schiffes sind Teile des Vorgängerbaus im Westen erhalten geblieben, was die Raumgestaltung und Lichtführung der Fenster erklärt. Der Chorabschluss der älteren Kirche blieb als Seitenkapelle erhalten, die einen der Hl. Anna geweihten Altar aufnahm (die heutige Annenkapelle).
1491 wurde das Gotteshaus geweiht und vier Jahre danach wurde das Taufsakrament von St. Remigius in die Marienkirche übertragen. Als Mutterkirche und mehr noch als Residenzkirche sollte sie die gewachsene Reputation des Grafenhauses demonstrieren. So zeigen die Wappenreihen an den Schnittpunkten der Gewölberippen in Chor und Schiff die Ahnenfolge des Grafen Ludwig II. und seiner Gemahlin Mara Gräfin von Nassau. Begleitet werden diese Wappensteine von Darstellungen von musizierenden Engeln, Maria mit dem Kind und von Propheten.
Geplant war vermutlich die Erhebung zu einer Stiftskirche, das geht aus der Zusammenlegung der älteren Altarpfründe zu einem gemeinsamen "Fonds der Chorherren" hervor.
1543 wurde die Reformation Luthers offiziell in Büdingen eingeführt. 1601 erfolgte unter Graf Wolfgang Ernst I. der Übergang zum Calvinismus. Von der einst reichen spätgotischen Ausstattung, fünf Altären, dem Sakramentshaus, einem "Heiligen Grab" und der schon 1499 erwähnten Orgel, blieb nichts erhalten. Seit 1871 dient die Marienkirche den beiden unierten Konfessionen als evangelisches Gotteshaus.
Mit der Restaurierung von 1956 wurde das große Fresko über dem Triumphbogen (Darstellung des Jüngsten Gerichts), die Bauinschriften und die Wappen Ysenburg und Nassau freigelegt.
Im Chor, der vom 16. bis Ende des 18. Jahrhunderts als Grablege der Ysenburger Grafen diente, erhebt sich das prächtige Renaissance-Epitaph für Anton Graf zu Ysenburg und seine Gemahlin Elisabeth Gräfin zu Wied, geschaffen 1563 von dem Büdinger Bildhauer Caspar Walrab.
Weitere Grabplatten aus dem Fußboden fanden an der Nordwand Aufstellung. Die Bronzeplatte hinter dem Altar zählt die Bestattungen auf. Im Schiff sind der große Wappengrabstein des Amtmar*** Caspar Reiprecht von 149* und das Bildnisepitaph des 1584 gestorbenen Friedrich zu Buseck zu finden.
Andere Ausstattungsgegenstände stammen aus späterer Zeit. Etwa das spätgotische Kruzifix auf dem Altar, eine Stiftung des Fürstenhauses, die barocke Sandsteinkanzel von 1745 (ursprünglich Friedhofskirche Hailer) und der ursprünglich gotische Taufstein. Die darin enthaltene Bronzeschale und die Leuchter (gestiftet von Büdinger Bürgern) auf dem Altar wurden von dem Büdinger Bildhauer Bernhard Vogler gestaltet. Die Orgel über dem Eingang mit 29 Registern wurde 1971 von der Firma Hillebrand (Hannover gebaut).
Das Geläut im Turm erklingt in den Tönen b, ges und es. Die beiden kleineren Glocken stammen aus dem Jahr 1777, die große Glocke - ein Opfer des letzten Krieges - wurde 1954 neu gegossen. Bei der jüngsten grundlegenden Sanierung der Jahre 2001/2002 wurde die ursprüngliche Farbgebung des Gotteshauses wieder zum Leuchten gebracht. Ein noch erhaltenes Joch des älteren Kirchenhauses mit einem Schlussstein, der eine segnenede Hand zeigt, dient nun im ehemaligen Annenchor als Kapelle zur Meditation und dem persönlichen Gebet (Ausstattung durch Madeleine Dietz aus Godramstein bei Landau/Pfalz).
Äußerlich weist der Kirchenbau einige Besonderheiten auf: So wurde der Turm bei dem spätgotischen Umbau wegen der Nähe zum Schloss wahrscheinlich bewusst niedrig gehalten. Die barocke Haube erhielt er erst 1776.
Zwischen Turm und Kirchenraum wurde 1556 die "Neue Schule" als Lateinschule eingefügt. Graf Wolfgang Ernst I. ließ, ganz im calvinistischen Geist, 1602 den alten Annenchor im Süden niederlegen und hier das Konsistorium (auch Presbyterium) mit seinen geschweiften Renaissance-Giebeln errichten.
zusammengestellt von Margot Manz und Dr. Klaus-Peter Decker
Die Glocken der Büdinger Marienkirche
Da läuten am Samstagmorgen um 7:00 Uhr schon wieder die Kirchenglocken der Marienkirche! Dabei würde ich doch gerne ausschlafen … einige Menschen empfinden das Glockengeläut als Belastung. Andere Gemeindemitglieder sind erfreut und schätzen es sehr, weil es zur Büdinger Altstadt gehört. Glocken laden ein zum Gebet und zum Gottesdienst, sie verkünden Freude und Leid (Hochzeiten und Beerdigungen) in der Gemeinde und sie erinnern daran: die vergehende Zeit ist von Gott geschenkt.
Viele Geläute sind unverwechselbar und ein akustisches Zeichen von Heimat und Geborgenheit. Die Glocken unserer Marienkirche rufen seit über 500 Jahren die Menschen zum Gebet. Das Geläut dient dazu, den Tag zu strukturieren und die Menschen einzuladen, einen kurzen Moment aufzumerken, innezuhalten und zu beten. Unsere Glocken erklingen täglich, bis auf sonntags, morgens um 7 Uhr zum Gebetsläuten. Gerade das morgendliche Gebetsläuten der christlichen Kirchen ist sehr alt. Es stammt aus dem 11. Jahrhundert, genau wie das Abendläuten (bei uns 18 Uhr). Auch mittags läuten die Glocken zum Gebet. Sonntags und an kirchlichen Feiertagen läuten die Glocken in einem anderen Rhythmus, um die Gläubigen an den Gottesdienst zu erinnern und um diesen einzuläuten. Auch das Vaterunser während des Gottesdienstes wird von Glockengeläut begleitet.
Die Glocken haben eine wechselvolle Geschichte hinter sich, haben auch in wirren Zeitläuften vor Kriegsgefahr und Überfällen gewarnt, läuteten bei Feuersbrunst und Hochwasser.
Die größte unserer drei Glocken hat zwei Vorgänger: Im Jahr 1590 wurde eine Glocke geschaffen, die nach treuen Diensten im Jahr 1830 zersprang. Sie wurde aus dem alten Glockenmaterial neu gegossen. Im zweiten Weltkrieg wurde sie eingeschmolzen, da auf Geheiß der nationalsozialistischen Machthaber das Metall für die Rüstungsindustrie benötigt würde; im Jahr 1953 wurde sie durch eine neue Glocke ersetzt. Die beiden kleineren Glocken stammen aus dem Jahr 1777 und wurden wie die große vom Glockengießer Bach aus Windecken gegossen. Auch sie wurden im zweiten Weltkrieg abmontiert, konnten aber dem Einschmelzen entrinnen und wurden nach 1945 unbeschädigt im Sammellager in Hamburg wiedergefunden. In einem freudigen Festzug wurden sie 1947 wieder an ihren alten Platz gebracht.
Unsere Glocken tragen folgende Inschriften:
Kleine Glocke – 320 kg, Ton b‘: + Ich lasse meinen Klang nur in die Ohren schallen die Hertzen schmuck Gott selbst dass sie ihm wohlgefallen + In Gottes Nahmen floss ich. Johann Peter Bach und dessen Sohn Johann Georg in Windecken goss mich. 1777
Mittlere Glocke – 800 kg, Ton ges‘: Soli Deo Gloria ## Gib Jesu dass mein Thon in Frieden staets erschall. Bewahre diese Stadt vor Feuer und Ueberfall. In Gottes Nahmen floss ich. Johann Peter Bach und dessen Sohn Johann Georg in Windecken goss mich. 1777
Bei ## sind zwei Salbeiblätter eingegossen. Als Symbol steht der Salbei für die Jungfrau Maria, für Treue und liebendes Ange - denken. Etymologisch ist der Name zurück zu führen auf salvare, lateinisch für „heilen“.
Große Glocke – 1500 kg, Ton es‘: Für die Schwester, die dem Kriege ward geweiht, rufe ich jetzt zum Frieden, zur Seligkeit. Gegossen Anno Domini MCMLIII von Gebrüder Rincker in Sinn.
Es berührt immer wieder, das Glockengeläut aus der Marienkirche zu vernehmen und die Inschriften dabei im Geiste mitzuhören, die ihren Segen weithin über die Büdinger Dächer tönen lassen.