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Kritik an assistiertem Suizid

Sterbehilfe mit Kirchen-Hilfe? Nächste Runde in der Debatte

Sterben

Liebe und schmerzlindernde Palliativmedizin

Hochrangige Vertreter der evangelischen Kirche, darunter Deutschlands Diakonie-Chef Ulrich Lilie, haben zuletzt dafür plädiert, assistierten Suizid auch in evangelischen Einrichtungen zuzulassen. Das hat eine enorme Debatte ausgelöst. Kirchenpräsident Volker Jung sieht in einem Interview nun den Ruf der protestantischen Hilfseinrichtungen in Gefahr. Und auch der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm widerspricht vehement.

Beispiellose evangelische Debatte über den sogenannten assistierten Suizid: Hochrangige Vertreter der evangelischen Kirche hatten in einem Gastbeitrag in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (F.A.Z.) Im Januar dafür plädiert, sich auch in kirchlichen Einrichtungen nicht dem Wunsch eines Menschen zu entziehen, mit ärztlicher Hilfe aus dem Leben zu scheiden. Damit haben sie eine intensive Debatte über den sogenannten assitierten Suizid losgetreten. In einer unter anderem von Diakonie-Präsident Ulrich Lilie und dem hannoverschen Landesbischof Ralf Meister verfassten Stellungnahme heißt es zunächst, kirchliche Einrichtungen sollten eine bestmögliche medizinische und pflegerische Palliativversorgung sicherstellen. Zugleich dürften sie sich aber dem freiverantwortlichen Wunsch einer Person nicht verweigern, ihrem Leben mit ärztlicher Unterstützung ein Ende zu setzen.

>>Hilfe für suizidgefährdete Menschen<<

Bundesverfassungsgericht:  Recht auf selbstbestimmtes Sterben

Das Bundesverfassungsgericht hatte im Februar 2020 im Wesentlichen den Klagen von Sterbehilfeorganisationen, Ärzten und Einzelpersonen Recht gegeben, die sich gegen das Verbot organisierter - sogenannter geschäftsmäßiger - Hilfe bei der Selbsttötung richteten. Die Karlsruher Richter erklärten das entsprechende Gesetz für nichtig und begründeten dies mit dem Recht auf selbstbestimmtes Sterben, das auch Dritten die Assistenz beim Suizid erlaube. Der Gesetzgeber solle dafür nun genauere Regelungen schaffen. Im Frühjahr soll dies laut Medienberichten in Berlin dann auch geschehen. 

FAZ-Beitrag: Geschäftsmäßiger Suizidbeihilfe Grundlage entziehen

In dem Gastbeitrag in der F.A.Z heißt es unter anderem weiter: "Leider gibt es im Umgang mit Suizidenten durch die Kirche eine lange Schuldgeschichte." Heute gebiete es der "aus dem christlichen Glauben entspringende Respekt vor der Selbstbestimmung", dem Sterbewilligen Beratung, Unterstützung und Begleitung anzubieten. Kirchliche Einrichtungen müssten Orte sein, in denen Suizid auf "sichere und nicht qualvolle Weise" vollzogen werden könne. Durch eine Professionalisierung der Selbsttötung, die die Begleitung der Sterbenden wie seiner Angehörigen durch qualifizierte Seelsorgerinnen und Seelsorger einbeziehe, könne auch der geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe die Grundlage entzogen werden.

Volker Jung: Ansehen der Einrichtungen gefährdet 

Der hessen-nassauische Kirchenpräsident Volker Jung hat sich im März im  Monatsmagazin "Zeitzeichen"  dagegen ausgesprochen, in diakonischen Einrichtungen Sterbehilfe zur verbrieften Möglichkeit zu machen. Es dürfe sich "kein Angebotscharakter" entwickeln. Jung erklärte in dem "Zeitzeichen"-Doppelinterview mit Diakoniechef Ulrich Lilie: "Wenn wir spezielle Teams bilden würden, die den assistierten Suizid vollziehen, begibt man sich schon in die Gefahr zu proklamieren, wir seien die bessere Sterbehilfeorganisation." Und weiter: "Das Ansehen unserer Einrichtungen, dass sie sensible Lebensbegleitung unbedingt umsetzen wollen, sehe ich dadurch gefährdet."

Suizidprävention mehr in den Blick nehmen 

Gleichzeitig konstatierte Jung aber auch, dass er sich in konkreten Einzelfällen eine Begleitung vor Ort oder eine Vermittlung zu einer Sterbehilfeorganisation vorstellen könne. Jung vermisse in der laufenden Debatte um den assistierten Suizid zugleich ein Bemühen um mehr Prävention. Gesetzliche Regelungen müssten neben der Öffnung "auch den anderen Auftrag des Bundesverfassungsgerichtes im Blick haben, nämlich den, die Suizidprävention zu fördern."  

Stellvertretende Kirchenpräsidentin: Grundlegende Werte angefragt  

Ulrike Scherf, Stellvertretende Kirchenpräsidentin der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau und für diakonische Fragen zuständig, sag unmittelbar nach Erscheinen des Beitrags in der F.A.Z die Förderung der leidensmindernden Palliativmedizin als das wichtigste Ziel: "Niemand darf Angst davor haben, am Ende des Lebens jemandem zur Last zu fallen oder alleine zu bleiben. Der Ausbau der Sterbebegleitung ist deshalb unerlässlich, damit sich niemand in den Tod gedrängt fühlt.“ Der zuletzt veröffentlichte F.A.Z-Text sei jedoch ein weiterer Beleg dafür, dass wir "auch in unseren kirchlich-diakonischen Einrichtungen vor Diskussionen um grundlegende Werte stehen“.

Scherf: Diskussion ist derzeit wichtig 

Scherf betont: "Das Thema assistierter Suizid ist ungemein vielschichtig. Ich verstehe den Text in der F.A.Z. als Beitrag zu einer wichtigen Debatte, zumal er gezielt danach fragt, was mögliche Aufgaben kirchlich-diakonischer Einrichtungen im Umgang mit Suizidwünschen sein könnten. Hier muss man nicht bei den einzelnen inhaltlichen Positionen des Beitrags mitgehen, aber die Fragestellung ist grundsätzlich wichtig. Die evangelische Kirche sieht es deshalb auch als ihre Aufgabe an, diese notwendige gesellschaftliche Diskussion zu begleiten." So sei bereits geplant, dass sich der diesjährige "Digitale Hospiztag“ der Evangelischen Akademie Frankfurt am 20. März genau mit diesen Themen auseinandersetzen wird. Scherf macht darauf aufmerksam, dass es im Urteil des Bundesverfassungsgerichtes nicht nur um den assistierten Suizid für schwerstkranke Menschen am Ende ihrer Lebenszeit gehe, sondern für alle. Mit Recht werde in der Stellungnahme die enorme Verantwortung betont, die auf Ärztinnen und Ärzte zukomme, wenn geklärt werden müsse, ob es sich "wirklich um eine freiverantwortliche Entscheidung" handle. Sie wies auch darauf hin, dass der Großteil der Suizide von Menschen mit psychischen Erkrankungen verübt werde. Suizidprävention bleibe deshalb eine der großen gesellschaftlichen Aufgaben.

Diakonie Hessen: Ethisches Dilemma ohne einfache Antworten  

Carsten Tag, Vorstandsvorsitzender der Diakonie Hessen, sieht in der Sterbehilfe "ein ethisches Dilemma, auf das es keine einfache Antwort gibt". "Wesenskern unseres diakonischen Engagements ist es, schwerstkranke und sterbende Menschen, die in unseren Pflegeeinrichtungen leben, von ambulanten Pflegediensten daheim oder in unseren Krankenhäusern versorgt werden auch in der Sterbephase medizinisch, pflegerisch und seelsorglich bestmöglich zu begleiten und sie im Sterben nicht allein zu lassen, erklärte er im Februar auf der Homepage der Diakonie Hessen. "Wenn nun ein schwerstkranker Mensch für sich die Entscheidung trifft, nicht mehr leben zu wollen, stellt dieser Ausdruck von Selbstbestimmung die bisherigen Konzepte diakonischer Einrichtungen in einem elementaren Punkt in Frage.“, so Tag weiter. Beistand bedeutete einerseits, die individuelle Entscheidung anzuerkennen, andererseits wäre es verfehlt einfach voraus zu setzen, es gäbe ein Recht auf assistierten Suizid und dieses könnten einfach in bestehende Konzepte integriert werden. Grundsätzlich werde dabei ein ethisches Dilemma deutlich, „für das es keine „gute“, also einfache und jederzeit nachvollziehbare Antwort, gibt: hier das Recht auf Selbstbestimmung bis in den Tod hinein, dort der Respekt vor dem Leben als aus christliche Sicht geschenktes Leben“, so Tag.  

EKD-Ratsvorsitzender Bedford-Strohm: Ablehnung von Suizidhilfe 

Auch der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm äußerte sich im Februar zunächst im ZDF und dann auf seiner facebookseite äußerst kritisch. "Jede organisierte Hilfe zum Suizid, die dazu beiträgt, dass die Selbsttötung eben doch zur Option neben anderen wird", lehne er ab. Kirche solle selbstverständlich auch an der Seite derer stehen, die "aufgrund von Erkrankung oder einer anderen Notsituation keinen anderen Ausweg als die Selbsttötung sehen". Bedford-Strohm erklärt weiter: "Aber wir sind dem Schutz des Lebens verpflichtet. Wir setzen deswegen alles daran, Menschen beim Sterben so zu begleiten, dass es ein Sterben in Würde sein kann, ohne dass sie sich das Leben nehmen. Dazu gehört etwa eine gute palliative Begleitung, so dass niemand mit Schmerzen sterben muss. Es gehört nicht dazu, dass wir mit organisieren, dass menschliches Leben aktiv beendet wird. Es ist aus meiner Sicht ein Missverständnis von Selbstbestimmung, wenn ihre höchste Erfüllung darin bestehen soll, dass Menschen sich das Leben nehmen. Suizid ist immer etwas Tragisches, immer eine Niederlage." 

Katholische Kirche: Vehemente Kritik 

Kritik kam umgehend von der katholischen Kirche. Die Ermöglichung des assistierten Suizids sei "nicht die richtige Antwort auf die Lebenssituationen von Menschen, die Suizidwünsche entwickeln oder Suizidabsichten haben", erklärte der Sprecher der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Matthias Kopp. Und weiter: "Nicht die Hilfestellung zum Suizid, sondern die Unterstützung bei der Entwicklung von Lebensperspektiven ist in diesen Situationen geboten. Den subtilen Druck, dem assistierten Suizid zuzustimmen, um am Ende des Lebens anderen nicht zur Last zu fallen, halten wir für eine große Gefahr."

Stiftung Patientenschutz: Der Diskussion in aller Breite stellen

Die Stiftung Patientenschutz erklärte, es werde von "höchstem Interesse sein, wie Tausende Pflegeeinrichtungen und Krankenhäuser in protestantischer Trägerschaft die Suizidbeihilfe organisieren wollen. Denn lebenssatte, einsame, pflegebedürftige oder psychisch erkrankte Menschen haben ebenso ein Recht auf Hilfe zur Selbsttötung." Es werde Zeit, dass sich die evangelischen Kirchen in Deutschland der Diskussion in aller Breite stellen. "Dann wird auch klar, ob die Vorschläge mehrheitsfähig und verantwortungsbewusst sind", erklärte Stiftungsvorstand Eugen Brysch.

Mehr Infos 

Texte und Links zur Debatte 
Interview Ulrich Lilie und Volker Jung in "Zeitzeichen"
https://zeitzeichen.net/node/8862

Auf der Diakonie-Website mehr Material zur Debatte unter dem Link
https://www.diakonie.de/journal/selbstbestimmt-sterben 
 

Hinweis

Wir berichten nur über Selbsttötungen, um mit den entsprechenden Informationen vorbeugend wirken zu können. Wenn Sie sich selbst betroffen fühlen, kontaktieren Sie bitte umgehend die Telefonseelsorge (www.telefonseelsorge.de). Unter der kostenlosen Telefon-Hotline 0800-1110111 oder 0800-1110222 erhalten Sie Hilfe von Beraterinnen und Beratern rund um die Uhr, an jedem Tag im Jahr. Die Beratenden konnten schon in vielen Fällen Auswege aus schwierigen Situationen aufzeigen. Der Anruf bei der Telefonseelsorge ist kostenfrei. Zusätzlich bietet die Telefonseelsorge eine E-Mail- sowie eine Chat-Beratung an. 
Hilfe für suizidgefährdete Menschen 

Mit Material von © epd.

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